Lieber Jeremy

Gestern war der Tag, vor einem Jahr ist es passiert. Gestern vor einem Jahr hast du dich umgebracht. Jeremy, so oft muss ich an dich denken. Wo du jetzt wohl bist und was du tust. Hier reden immer noch alle über dich. Sie reden und reden, Gott es ist kaum auszuhalten. Ihnen zuzuhören wie sie sich das Maul über dich zerreissen. Sie alle scheinen zu vergessen, dass du wirklich da warst. Und dass ich da war….
An diesem Tag in der Schule. Als du, nun ja, es getan hast. Vor mir und vor den anderen. Einfach die Pistole aus deiner Tasche geholt und….
Dieser Tag ist verankert in meinem Gedächtnis, in meinem, in deinem und bei all den anderen. Wir unterscheiden uns nicht viel von dir nur, dass wir noch den Rest unseres Lebens vor uns haben, du aber nicht. Ich muss immer daran denken wie du abgedrückt hast. Du warst der am Abzug, doch wir waren diejenigen, die die Kanone geladen haben.
Jeremy, wie lange kenne ich dich schon? Seit der Grundschule, glaube ich. Ich weiß nicht mehr viel nur, dass deine Eltern sehr viel stritten und, dass du es zuhause nicht aushalten konntest. Wieso man dich nicht geliebt hat, weiß ich nicht. Ich wünschte man hätte es getan.
Dann kam das Gymnasium weißt du noch? Unsere Wege trennten sich. Ich fand neue Freunde und du nicht. Es war egal, dass du ein unglaublicher Charakter warst was zählte war, dass du dich hast rumschubsen lassen. Du weißt doch wie die Schule ist. Eine Löwengrube so hattest du sie genannt. Die anderen Kinder wurden zu Jägern und du konntest nur noch laufen.
Ich hab nichts getan nur zugesehen. Wenn ich jetzt so darüber nachdenke schäme ich mich. Mir war es wichtiger beliebt zu sein anstatt dir zu helfen. Ich wusste, dass das was die anderen da mit dir trieben falsch war. Ja ich wusste das. Doch ich hatte Angst auch zum gejagten zu werden. Was unsinnig ist bei nur 700 Tagen Schule in unserem Leben.
Jeremy du warst mutig, warst du schon immer. Du hast es einfach über dich ergehen lassen. Und dennoch konnte ich es manchmal sehen. Manchmal wenn du glaubtest keiner schaut. Deine Angst, deine Wut, deine Einsamkeit.
Heute sagen uns unsere Lehrer, wir wären in der Schule sicher. Ich muss immer lachen wenn sie das sagen. Denn wo blieb denn deine Sicherheit? Niemanden hat das interessiert. Wir interessieren uns nur für uns selbst.
Ja 700 Tage Schule aus ungefähr 30000 und du konntest nicht darüber hinaussehen. Ich kann mir nicht vorstellen wie schlimm jeder Tag gewesen sein muss. Und du bekommst ja auch keinen der Tage jemals wieder. Die Tage an denen du mit dem Kopf nach unten den Schulflur entlang gegangen bist. Oder die Tage, an denen man dich gegen die Wand gestoßen hat. Die Tage bekommst du auch nie wieder.
Manche nennen dich ein Monster einen Psycho, weil du dich vor uns erschossen hast. Aber ich kann nicht aufhören darüber nachzudenken, wie du uns in Erinnerung behältst, wie du mich in Erinnerung behältst. Jeremy wirst du mir das jemals verzeihen? Wirst du irgendwo anders glücklich? Weißt du eigentlich noch wer ich bin? Ist es meine Schuld?
Ich weiß nicht ob du mich vergessen hast, aber wenn nicht. Es tut mir leid.

© Amparo

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